Peter Pichler ist nach mehrjähriger Forschungs- und Lehrtätigkeit an den Universitäten Graz und Wien nun am Institut für Rechtswissenschaftliche Grundlagen der Karl-Franzens-Universität Graz tätig. Der promovierte Kulturhistoriker leitet dort das mehrjährige Forschungsprojekt „Breaking the Law…?! Normenbezogenes klangliches Wissen in der Heavy Metal-Kultur“, in welchem erstmals breit und interdisziplinär die Kulturgeschichte der steirischen Heavy Metal-Szene erforscht wird. Auf diesem Gebiet gibt es wenig seriöse Forschung, die meisten bisher vorhandenen Arbeiten sind aus der Sicht von Fans geschrieben und daher weniger objektiv. Der Autor ist selber als Fan in die Szene verstrickt, das erfordert die eigene Position im Feld gut zu reflektieren. Pichler hat i Rahmen einer einjährigen Forschung 22 Interviews mit verschiedenen Personen aus der Metal-Szene geführt. Diese Interviews decken inhaltlich alle untersuchten Jahrzehnte repräsentativ ab.
Metal ist Musik und Lifestyle, die klangliche Heaviness ist ein spezifischer Sound und genredefinierend. Pichler beschreibt wie steirische Metalfans zu Beginn nach internationalem Vorbild gegen ein konservativ-bürgerliches Establishment aufbegehren wollten und versuchten sich dagegen abzugrenzen. Das Auflehnen gegen das Rechtssystem und der Kampf gegen Widerstände galten als tragende Elemente der Metal-Identität.
Chronologisch werden im Buch drei Kapitel beschrieben:
Die Pionierphase fand in den frühen 1980er Jahren statt, in diesem Jahrzehnt etablierte sich die steirische Metal-Szene. Eigene Institutionen, Räume und Netzwerke wurden gebildet, die teilweise bis heute bestehen. Im zweiten Kapitel geht es um eine Ausdifferenzierung und Pluralisierung in den 1990ern, es entstanden nach internationalem Vorbild verschiedene Spielarten von Metal. Die dritte Phase war geprägt durch die Digitalisierung und dauert bis heute an, mit einer Erweiterung um digitale Szeneräume im Internet.
Der Autor beschreibt ausführlich wie in den 1980ern mit gängigen Moralvorstellungen bewusst gebrochen wurde, Metalheads bezeichneten sich gern selbst als Outlaws. Dieser Begriff taugte zu dieser Zeit um eine subkulturelle Identitätsstiftung zu ermöglichen. Das Hören von harter Musik, der spezielle Habitus, verschiedene Szenecodes wie das Tragen von langen Haaren und schwarzen Band-Shirts halfen dabei. Der Autor beschreibt eine grundsätzliche Ambivalenz zwischen Liberalität und Konservatismus, die der Metal-Szene schon immer innewohnte. Freiräume wollten erobert werden, dabei mussten aber reglementierende und einengende Aspekte des Rechts eingehalten werden. Die Gründung von Vereinen und das Veranstalten von Konzerten erforderte die Einhaltung von Bestimmungen, Gesetzen und Vereinsrecht. Pichler nennt in diesem Zusammenhang das Grazer Jugendkulturzentrum Explosiv als eine äußerst wichtige Institution, die seit 1988 existiert und bis heute von treuen Besucher:innen als „Familie“ betrachtet wird.
Der Autor beschreibt weiter wie sich die Szene in den 1990ern zunehmend politisierte, es kam zu einer Pluralisierung der Werte. Diskussionen gab es etwa um die Rolle von Frauen und um Männlichkeit, dies führte dazu dass Frauen in der Szene stärker präsent waren. Gleichzeitig aber lebte der konservative Patriarchalismus weiter, wichtige Positionen blieben männlich besetzt. Pichler nennt Gothic Metal und Black Metal als Missing Link, der dazu führte dass mehr junge Frauen andocken konnten, die Szene öffnete sich zunehmend. Um 1990 herum fand durch die Grunge Bewegung ein Bruch statt, der auch lokal zu beobachten war. Eine damit einhergehende Liberalisierung der Gesellschaft für die Szene minderte das Bedürfnis zu rebellieren.
In den 2000er Jahren setzte eine Digitalisierung ein, vorhandene Strukturen wurden um digitale Räume ergänzt. Pichler spricht davon, dass das Rebellieren online fortgesetzt und der Outlaw-Mythos digitalisiert wurde. Der Kampf gegen ungeschriebene Gesetze einer unfairen Gesellschaft wird nun ironisch relativiert und gebrochen. Es entstand eine Paradoxie: die steirische Metalszene wurde durch einen Liberalisierungsschub erfasst, es kam aber zugleich zu einer neuen Konjunktur traditioneller Werte. Der Autor bezeichnet dies als „digitalen Biedermeier“ des Metal in der Steiermark und spricht hier zugleich von einer Welle des Ultraliberalismus.
Pichler kommt zum Schluss, dass die steirische Metal-Szene gegenwärtig sehr intakt ist, in Graz und über die gesamte Steiermark existieren viele aktive Netzwerke. Das vorliegende Buch ist kein übliches Fanbuch, sondern eine wissenschaftliche Publikation, die gründlich und fundiert die steirische Metal-Szene erforscht.